Regulation statt Eskalation: Was dein Kind in schwierigen Momenten wirklich braucht

Regulation statt Eskalation: Was dein Kind in schwierigen Momenten wirklich braucht
 

Kennst du Kinder, die als "High-Needs", willensstark, hochsensibel, neurodivergent, ängstlich oder anderweitig herausfordernd beschrieben werden? Vielleicht erkennst du dein eigenes Kind in einer dieser Beschreibungen wieder.

Was all diese Kinder verbindet: Ihr Nervensystem gerät besonders leicht aus dem Gleichgewicht. Sie reagieren intensiver auf Reize, Stress und Änderungen in ihrem Umfeld – und sie brauchen in den ersten Lebensjahren mehr Unterstützung, um wieder in ihre Balance zu finden.

In diesem Artikel erfährst du, wie du dein Kind auf Nervensystem-Ebene unterstützen kannst, herausforderndes Verhalten neu bewertest und deinem Kind wichtige Fähigkeiten zur Selbstregulierung mit auf den Weg gibst. Diese Ansätze kannst du sowohl im Familienalltag als auch in Betreuungs- und Bildungskontexten anwenden.

 

Warum das Nervensystem der Schlüssel ist

Wenn Kinder überfordert, wütend, ängstlich oder scheinbar unkooperativ reagieren, steckt dahinter oft kein "schlechtes Benehmen", sondern ein Nervensystem in Alarmbereitschaft. Das autonome Nervensystem unterscheidet nicht zwischen echten und empfundenen Bedrohungen – es reagiert in beiden Fällen mit Stressreaktionen: Kampf, Flucht oder Erstarren (Totstellreflex).

Je nachdem, wie feinfühlig ein Kind ist, kann schon eine kleine Veränderung im Alltag, eine zu laute Stimme oder ein verstohlener Blick in der Gruppe ausreichen, um diese Alarmreaktion auszulösen.

Das erklärt, warum manche Kinder scheinbar "plötzlich explodieren" oder sich "völlig zurückziehen". In Wahrheit ist ihr Nervensystem schlicht überfordert.

 

Was kannst du in diesen Situationen tun?

Schritt 1: Weg vom "herausfordernden Verhalten", hin zur Frage: "Was braucht dieses Kind?"

Der erste Schritt zu einer neuen Perspektive ist, das Verhalten deines Kindes nicht als Problem, sondern als Ausdruck eines unregulierten Nervensystems zu verstehen. Wenn wir ein Kind als "herausfordernd" sehen, sind wir in einer Haltung des Urteilens.

Wenn wir es hingegen als ein Kind betrachten, das "mehr Unterstützung braucht", öffnen wir den Raum für Empathie, Neugier und echte Verbindung.

Frage dich also in schwierigen Situationen nicht: "Was stimmt nicht mit meinem Kind?", sondern: "Was braucht mein Kind gerade, um sich sicher zu fühlen?"

Schritt 2: Verstehen, wie Stress das Verhalten beeinflusst

Kinder mit einem empfindsamen Nervensystem geraten schneller in Stress. Dieser Stress kann körperlich, emotional oder sozial sein. Stress versetzt den Organismus in Alarmbereitschaft, was wiederum das Denken, Lernen und Kooperieren massiv beeinträchtigt.

In diesen Momenten brauchen Kinder vor allem eins: eine erwachsene Bezugsperson, die selbst reguliert ist und sie durch sogenannte Co-Regulation zurück in die Sicherheit führt. Unsere ruhige Präsenz wirkt wie ein Anker für ihr Nervensystem.

Schritt 3: Sicherheit und Ko-Regulation als Fundament

Sicherheit ist das Schlüsselbedürfnis jedes Nervensystems. Ein sicheres Umfeld ist nicht immer ruhig – aber es ist vorhersehbar, feinfühlig und bindungsstark.

Co-Regulation bedeutet: Wir begleiten unsere Kinder emotional, bleiben selbst ruhig und verbinden uns mit ihnen – auch (und gerade) in schwierigen Momenten. Wir sind der sichere Hafen, zu dem sie zurückkehren können, wenn die Welt zu viel wird.

Schritt 4: Selbstregulation coachen – nicht kontrollieren

Kinder lernen durch Beziehung. Wenn sie erlebt haben, wie sie mit unserer Unterstützung zur Ruhe finden, werden sie nach und nach lernen, sich auch selbst zu regulieren. Dabei geht es nicht um strikte Kontrolle oder "Verhaltenstraining", sondern um fein abgestimmtes Coaching, das folgendermaßen aussieht:

  • Wir benennen ihre Gefühle: "Du bist gerade richtig wütend. Das ist okay. Ich bin bei dir."

  • Wir helfen, Körperreaktionen einzuordnen: "Dein Herz schlägt ganz schnell. Vielleicht brauchst du eine Pause."

  • Wir entwickeln gemeinsam Werkzeuge: Atemübungen, Bewegungsangebote, Rituale.

 

Was daraus entstehen kann

Wenn wir unsere Kinder auf dieser tiefen Ebene begleiten, verändert sich nicht nur ihr Verhalten. Es entsteht eine neue Qualität der Beziehung. Kinder, deren Nervensystem in Balance ist, sind zugänglicher, neugieriger, kooperativer und emotional stabiler. Sie entwickeln Resilienz – also die Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern, ohne daran zu zerbrechen.

Und wir als Erwachsene? Wir erleben, dass wir eben nicht nur Grenzen setzen oder Konflikte lösen müssen, sondern echte WegbegleiterInnen sein können. Mit einem Zuwachs an Vertrauen, Verbindung und gegenseitigem Verständnis.

 

Möchtest du das Thema weiter vertiefen? Schau doch in die Eltern-Lounge mit vielen Trainings zu Familienthemen. Viele weitere Blogartikel zu Hochsensibilität findest du hier auf meiner Fachwebseite BIPP Bildungsinstitut für Potenzialpädagogik.

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