Warum ist die Trotzphase so ein großes Problem?

Warum ist die Trotzphase so ein großes Problem?

Die sogenannte Trotzphase ist eine anstrengende Zeit. Für alle Familienmitglieder und anscheinend für alle Eltern-Generationen, und das, obwohl es eine Entwicklungsphase ist, die alle Menschen durchlaufen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht spricht man hier eher von der Autonomiephase und von einem normalen Entwicklungsprozess, den alle Kinder in unterschiedlich ausgeprägter Intensität durchmachen.

Dennoch gelingt es vielen Eltern nicht so gut, die positiven Seiten dieser wichtigen Phase im Leben ihres Kindes zu sehen!

In diesem Artikel beschreibe ich eine etwas andere Sicht auf die Trotzphase und gebe dir 5 Tipps mit, wie du und dein Kind smarter und leichter durch diese Zeit kommen könnt.

 

Ist das Wort „Trotzphase“ tatsächlich angebracht?

Woher kommt der Begriff Trotzphase überhaupt? Schlägt man das Wort ‚Trotz‘ nach, dann geben Quellen wie hier z.B. Wikipedia folgendes an:

 

Trotz ist ein Verhalten des Widerstands (entweder im allgemeinen Sinne, im Sinne der Psychologie in der Psychotherapie oder im politischen Sinne), das sich in hartnäckigem, oft auch von heftigen Gefühlsausbrüchen begleitetem Beharren auf einer Meinung oder einem (ggf. auch nur vermeintlichen) Recht äußert.

Der Begriff Trotz (trotzen) war ursprünglich nicht negativ konnotiert, sondern bezeichnete allgemein Gegenwehr oder Standhaftigkeit. In Bezug auf kindliches Verhalten wird der Begriff jedoch traditionell negativ verstanden, anders als im wissenschaftlichen Diskurs.

 

Bei genauerer Betrachtung wird Trotz also generell in Verbindung mit kindlichem Verhalten negativ gewertet.

Geschichtlich gesehen ist dies auch verständlich, denn bis weit in das 20 Jhd. hinein, war bei Eltern eine Erziehungshaltung vorherrschend, die das Ziel hatte, gehorsame, folgsame und Autoritäten nicht widersprechende Kinder zu erziehen.

Stichwort ‚Schwarze Pädagogik‘.

Die Erziehungsziele und Erziehungswerte wandelten sich glücklicherweise in den letzten 20-30 Jahren.

Leider im Schneckentempo und leider auch nicht flächendeckend, dennoch sind Tendenzen in Richtung beziehungs- und bedürfnisorientierter Erziehung sichtbar. Soweit so gut!

Aber ist denn der so stark verbreitete Begriff ‚Trotzphase‘ auch tatsächlich der Richtige?

 

Trotzphase oder nicht doch lieber Autonomiephase?

Jeder Mensch macht bestimmte Entwicklungsphasen durch, so auch die Autonomiephase, die sich ganz individuell um das 2. – 4. Lebensjahr vollzieht. Diese beginnt bei manchen Kindern früher oder sie dauert länger an.

Gesteuert wird sie u.a. durch die Entwicklung der Ich-Identität (dem Ich-Bewusstsein), der Sprachentwicklung und der motorischen Entwicklung des Kindes.

Der Forscherdrang und die Neugier nehmen zu, eigene Ideen und Vorstellungen werden nun verbal vehementer eingefordert, das Kind wird rundum autonomer und selbstbestimmter. Es erlebt sich selbstwirksamer.

War das Kind bis dahin recht umgänglich und kooperativ, zeichnen sich mit Eintreten der Autonomiephase mehr und mehr Spannungen ab, denn das Kind möchte seine Wünsche und Vorstellungen umsetzen, die sich allerdings häufig NICHT mit den Vorstellungen der Eltern decken.

So kommt es zwangsläufig zu Konflikten und viel Frust, nicht nur aufseiten des Kindes. Meist brechen Kinder in diesem Alter entwicklungsgemäß in Wut aus oder haben intensive Gefühlsausbrüche und machen ihrem Unmut schreiend, kreischend oder schon auch mal tretend Luft.

Das alles ist völlig alterstypisch!

 

Warum ist die Trotzphase für Eltern ein so großes Problem?

Nicht alle Eltern haben ein Problem mit dieser Phase!

  • Der Erziehungsstil,

  • die Haltung wie auch

  • die Erziehungsfähigkeiten der Eltern …

… haben wesentlichen Einfluss darauf, wie die Autonomiephase verläuft.

In der Gesellschaft noch weit verbreitete Erziehungsmythen längst vergangener Zeiten tragen einiges dazu bei, dass diese Phase als etwas Negatives angesehen wird. Dieses Negative muss lieber früher als später Einhalt geboten werden.

Und da sind wir auch schon bei der wesentlichen Wurzel des Problems angelangt: Nicht die normale Entwicklungsphase ist das Problem, sondern die Ansicht darüber.

Werden die wesentlichen Merkmale dieser Phase erkannt, nämlich:

  • das typische Streben nach mehr Autonomie,

  • mehr Selbstbestimmtheit,

  • mehr Mitbestimmung und

  • noch mehr Selbstwirksamkeit,

… dann verläuft diese Phase für Eltern in einer geringeren Intensität. Mit dem zusätzlichen Bonus, dass sie auch kürzer andauert!

 

Was können Eltern also tun, um die guten Seiten der (verkannten) Trotzphase zu verstärken?

 

1. Mach dir die Normalität dieser Phase klar!

Sobald wir verinnerlicht haben, dass diese Phase nicht vermeidbar ist und auch nicht vermieden werden muss oder kann, sondern ganz im Gegenteil, natürlich zur Entwicklung jedes Menschen dazu gehört, erleichtert uns das schon. Es hilft, zu wissen: jedes Kind wird in diesem Alter unabhängiger von seinen Eltern und jedes Kind will in dieser Phase selber entscheiden, auch wenn es in vielen Fällen noch nicht den Überblick oder die Folgen seiner Entscheidung abschätzen kann.

Es tut gut, zu wissen, dass intensive und emotionale Gefühlsausbrüche zu dieser Phase dazugehören und normal sind. Sie sind anstrengend, ganz klar, aber sie sind NICHT unnormal! Das befreit doch schon mal, nicht wahr?

 

2. Verändere deinen Blickwinkel!

Ist es nicht wirklich so? Schon allein der Satz ‚Mein Kind ist trotzig!‘ verführt uns dazu, das Negative und Mühsame der Lage hervor zu streichen. Dabei könnten wir uns freuen, wenn unser Kind selbständiger und eigenständiger wird! Es bedeutet ja schließlich auch, dass es gut unterwegs ist in seiner Entwicklung und das bestätigt wiederum, dass mit dem Kind alles okay ist!

Wenn sich Eltern hier eher auf das Positive der Phase fokussieren, und dies im eigenen Verhalten auch ausdrücken können, verkürzen sie damit nicht nur die Länge der Phase, sondern empfinden sie auch als deutlich weniger anstrengend.

 

3. Vermeide Machtkämpfe, sie bringen nichts!

Ich sehe sehr viele Situationen, in denen ich mich, von außen betrachtet, frage: Wer ist hier eigentlich der Trotzige?

Das Kind oder der Elternteil?

Bildlich gesprochen, sehe ich oft zwei Steinböcke trotzig aufeinander rasen und sowohl das Kind als auch der Erwachsene möchte seine Vorstellung durchsetzen. Keiner von beiden ändert seine Meinung. Beide sind im Machtkampf gefangen, oft mit dem Endergebnis der Strafe, des Drohens oder des Erpressens. Oftmals begleitet von der Aussage: Das Kind ist uneinsichtig!

Dabei ist es doch so: Das Kind ist meist in seiner Entwicklung noch nicht so weit, einzulenken, der Erwachsene sollte aber schon schlauer sein und Kurs wechseln. So sind viele Konflikte in der Autonomiephase hausgemacht. Was ist hilfreicher?

 

4. Verändere deine Strategie!

Wenn wir als Erwachsene nun über die typischen Merkmale dieser Phase Bescheid wissen, dann ist es doch smarter, MIT der Besonderheit der Phase zu arbeiten als dagegen! Versuche dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Autonomie im Alltag so viel wie möglich nachzukommen.

Biete deinem Kind Entscheidungsfreiheit wo immer das möglich ist. Plane mehr Zeit für die wachsende Selbständigkeit deines Kindes ein (Ich will selber anziehen, selber Masche binden, selber Müsli machen….) und nimm eine gewisse Langsamkeit, Umständlichkeit oder Ungeschicktheit in Kauf. Ja, der Alltag wird in manchen Dingen etwas komplizierter, weil das Kind vieles selber machen will, aber schraube den eigenen Effizienzgedanken runter und auch deinen eigenen Perfektionismus. Biete deinem Kind im Tagesverlauf viele Möglichkeiten für Kompromiss-Verhandlungen - somit vermeidest du Zeitdruck und du trainierst gleichzeitig die viel zitierte Frustrationstoleranz. Auf beiden Seiten ;-)

 

5. Lerne Wutanfälle und Gefühlsausbrüche friedlich zu begleiten!

Häufige und (teils heftige) Gefühlsausbrüche gehören zu dieser Phase dazu, wie das Amen zum Gebet! Das Kind erlebt in dieser Phase durchaus viel Frust, Enttäuschung und Wut und diese brechen oft Vulkan-artig aus. Schließlich können nicht alle Wünsche des Kindes erfüllt werden und wir Eltern sagen öfters mal 'Nein' und zeigen Grenzen auf. 

Das Erlernen der Gefühlsregulation ist ein längerer Prozess, der bis in die Adoleszenz dauert und ein Vorbild durch Erwachsene braucht. Wir Eltern sind also gut beraten, wenn wir uns die Fähigkeit aneignen, Gefühlsausbrüche ruhig und gelassen zu begleiten. Eltern, die in dieser Phase die verantwortungsvolle Rolle des Co-Regulators übernehmen, erleben sich nicht nur als kompetenter, sondern erweisen ihrem Kind einen unschätzbaren Dienst!

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